Christoph Zehnder, eidg. dipl. Vermögensverwalter
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Leserrückmeldung «Ukrainekrieg»
Auf meinen letzten Ratgeberartikel habe ich ein freundliches Mail bekommen. Der von mir verwendete Begriff «Ukrainekrieg» sei falsch, genauer sei es, von «dem russischen Krieg in der Ukraine» zu sprechen, schliesslich sei Russland der Agressor. Meine hoffentlich ebenfalls freundlich empfundene Antwort war, dass der gewählte Ausdruck doch etwas länglich/umständlich und v.a. die Schuldfrage zwar durchaus berechtigt, aber nicht Thema des «Finanz-Ratgebers» sei. Bei der letzten Kolumne ging es um die Überlegungen zu bereits erfolgten und möglichen Auswirkungen dieses Kriegs (Wegfall Sicherheitsschirm der USA, Aufrüstung bzw. Nachholen von Rüstungslücken, Aufhebung Schuldenbremse in D).
Europa im Rüstungsrausch
Ich nehme das Thema gleich nochmals auf, denn es geht um hunderte von Milliarden Euro, die mutmasslich nun umverteilt werden. Während Jahren konnte sich Europa unter dem wohligen amerikanischen Sicherheitsschirm verstecken und musste vergleichsweise wenig Geld in die eigene Verteidigungsfähigkeit investieren. Europa profitierte von der so genannten Friedensdividende, hat das eingesparte Geld aber nicht angespart, sondern v.a. in den Ausbau des Sozialstaats investiert. Das Resultat ist, dass trotz tiefen Verteidigungsausgaben viele europäische Länder stark verschuldet sind und auch nach wie vor hohe Defizite schreiben. Im 2024 haben nur 11 der 27 EU-Länder beide Maastricht-Kriterien erfüllt, also ein Budgetdefizit von weniger als 3% der Wirtschaftsleistung BIP und eine Verschuldung von weniger als 60% des BIP erreicht.
Ukrainekrieg und America first Politik haben nun europäische Politiker aufgescheucht wie der Fuchs die Hühner. Nachdem jahrelang die Armeen massiv zurückgefahren wurden, soll nun plötzlich Aufrüstung um jeden Preis richtig sein. Die Ideen überbieten sich, es soll bspw. nicht innert 10 Jahren 50% mehr ausgegeben werden. Nein, am besten soll es einem Verdoppelung oder lieber gar eine Vervierfachung innert weniger Jahre geben. Ein solcher Weg kann nur zu finanzieller Verschwendung führen, freuen tut es aber mit Sicherheit die Rüstungsindustrie (ob die Verteidigungsfähigkeit damit schnell erreicht wird, ist eine andere Frage). Es bleibt auch nicht bei Ausdrücken wie «Verteidigungsfähigkeit», nein, es muss gleich auch rhetorisch eine Schippe drauf gelegt werden und man spricht von «Kriegstüchtigkeit», teilweise von den gleichen Politikern, die noch vor fünf Jahren als Pazifisten die Armeen am liebsten abgeschafft hätten.
Was aber gleich bleibt: Die Politiker wollen die Ausgaben nicht via Einsparungen an einem anderen Ort sondern via Schulden finanzieren. Prioritäten setzen, Fehlanzeige. Die Verschuldungen wachsen weiter auf immer noch gefährlichere Höhen an. Wenn dem eine Schuldenbremse entgegensteht, wird diese umgangen, indem Verteidigungsausgaben ab einer gewissen Höhe kurzerhand davon ausgenommen bzw. als ausserordentlich taxiert werden. Dabei wäre doch Sicherheit die Ur-Aufgabe des Staates, hat also überhaupt nichts mit «ausserordentlich» zu tun. Und was leider auch nicht ändert: Die Politiker versuchen Unangenehmes hinter Lügen zu verstecken und kreiieren Wortschöpfungen, die nach dem Gegenteil von dem klingen sollen, was sie sind: Schulden werden dann absurderweise plötzlich zu «Sondervermögen». Orwell lässt grüssen...
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